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mutig seinen Weg gehen: Ein Privileg der Jugend?

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Ich habe in meinem Leben schon oft gehört, dass ich mutig sei. Beispielsweise, als ich mit 23 Jahren alleine mit meinem Motorrad durch Italien reiste. Oder als ich mit 27 im Fernsehen über meine lesbische Beziehung plauderte. Oder als ich mit 28 alleine für 11 Wochen in Asien unterwegs war. Oder als ich mich mit 29 als Grossratskandidatin aufstellen liess.

Ist mutig-sein ein Privileg der ungebundenen Jugend?

Diese Woche sagte man mir wieder, ich sei mutig. Und das sei mein Privileg als junger, ungebundener Mensch; und dass man (älter und gebunden) auf mich neidisch sei. Was habe ich getan? Ich habe meinen Job an den Nagel gehängt. Einfach so ins Blaue gekündigt.

Einfach so? Nein. Das war ein langer Prozess, denn ich liebe Vieles an meiner Stelle: Die Menschen, mit denen ich arbeite; die Projekte, die ich aufbauen konnte; die Wertschätzung, die mir für meine Arbeit entgegengebracht wird; der freundschaftliche Umgang mit meinen Chefs; mein höhenverstellbares Pult; der Blick ins schöne Kirchenfeldquartier;  die flexiblen Arbeitszeiten – insbesondere nach meiner überraschenden Wahl ins Kantonsparlament… Nein, „einfach“ habe ich meine Stelle wahrlich nicht gekündigt. Ich habe monatelang nachgedacht, abgewogen, mir Ratschläge angehört, mit mir selbst gerungen und kam zum Schluss, dass ich – trotz aller schönen Aspekten – weiterziehen will. Dass ich etwas Neues tun und meinen Horizont erweitern will; dass ich wo anders etwas erreichen will; wo anders auch etwas bewegen will; dass ich mich auf den Weg machen will – im vollen Vertrauen, dass sich auf diesem Weg die Tür zu meiner nächsten Traumstelle öffnet. Im Vertrauen, dass ich auch dort wieder mit fordernden und fördernden Vorgesetzten zusammenarbeiten kann. Im Vertrauen, dass ich auch dort meine Energie und Ideen zukunftsweisend einbringen kann. Im Vertrauen, dass mir liebgewonnene Kontakte aus meinem heutigen Netzwerk erhalten bleiben. Im Wissen, dass ich mir in den letzten sieben Jahren einen umfangreichen Rucksack an Erfahrung und Knowhow erarbeitet habe, aus dem ich werde schöpfen können.

Wehmut, Sehnsucht, Stolz und vielleicht auch ein klein wenig Neid

Schön ist – und das habe ich ehrlicherweise auch erhofft – dass mich die Menschen in meinem heutigen Arbeitsumfeld nicht gerne ziehen lassen. Überraschenderweise rufen die Information über meine Kündigung und die darauffolgenden Gespräche bei meinen Gegenübern etwas hervor, mit dem ich nicht gerechnet hätte: Bewunderung, Sehnsucht, Wehmut, vielleicht auch ein klein wenig Neid… Dafür, dass ich den Mut habe, „einfach“ zu kündigen und mich auf den Weg zu machen.

Manche meiner Gegenüber erzählen mir dann wehmütig oder stolz aus der Zeit, als sie selbst Anfang 30 und voller Tatendrang auf dem Arbeitsmarkt unterwegs waren. Andere vertrauen mir an, dass auch sie sich überlegen, was sie in den nächsten zehn, zwanzig Jahren beruflich noch tun wollen. Schliesslich verbringen wir alle täglich 8 bis 12 Stunden dort: Im Büro, auf der Baustelle, in der Praxis, im Atelier oder wo auch immer der Arbeitsplatz liegt. Alle gratulieren sie mir zu meinem Mut, meinem Herzen zu folgen und einen neuen Lebensabschnitt in Angriff zu nehmen. Und alle sagen sie, das sei mein Privileg als junge, ungebundene Person.

Romantischer Gedanke und ehrliche Realität

Ich habe mich noch nie besonders mutig gefühlt. Weder fand ich meine Motorradtouren etwas Mutiges, noch meine Reisen, mein Coming-out oder meinen Schritt in die Politik. Es waren immer Herzenswünsche, die ich mir erfüllt habe. Ich träumte schon als Teenager von einem eigenen Motorrad und vom Bereisen ferner Länder. Ich verliebte mich als junge Erwachsene in Frauen und wollte das nicht verstecken. Und ich bin von Innen heraus überzeugt, dass ich Teil des politischen Prozesses sein muss, wenn ich darin etwas bewegen will. Und das will ich.

Ich habe auch kein Privileg, als junge Frau. Im Gegenteil! Ich werde in Kürze 31 Jahre alt und bin damit voll im gebärfähigen Alter. Das ist kein Vorteil, wenn ich auf Jobsuche bin. Dass meine Partnerin und ich keine Familien gründen wollen, kann ich ja nicht in jedes Bewerbungsschreiben packen. Ich habe seit Mitte 20 eine Führungsposition inne und bin mir gewohnt, mitzugestalten. Das will ich auch bei einem neuen Job und nein, da ist meine Jugend auch kein Vorteil: Meine Mitbewerber haben nämlich oftmals ein paar Jahre mehr Berufserfahrung und ungefähr die gleichen Lohnvorstellung. Auch in der Politik ist das Prädikat „junge Frau“ nicht nur ein Vorteil. Vielleicht auf den Wahlplakaten, weil wir frisch und unverbraucht wirken. Im Alltag schlägt uns dann nicht selten folgende Einstellung entgegen „Naja, du wurdest wegen dem Junge-Frau-Bonus gewählt aber hast wohl nicht wirklich was auf dem Kasten“. Das ist nicht gerade das, was man sich als engagierte Person wünscht. Ganz egal, wie jung oder alt man ist.

Ist mutig-sein eine Frage des Alters?

Zurück zur Kernfrage: Kann ich angeblich mutige Entscheide wie eine Kündigung ohne fixen neuen Job treffen, nur weil ich jung und ungebunden bin?

Zugegeben: Wäre ich Haupternährerin einer Familie hätte ich wohl noch länger gebraucht, um mir wirklich sicher zu sein, dass ich meine Stelle kündigen und etwas Neues wagen will. Ich hätte noch mehr Abklärungen getroffen, ich hätte vielleicht noch bis nach den Nationalratswahlen gewartet aber ich hätte es trotzdem getan. Da bin ich mir sicher. Es ist der Wunsch aus meinem Inneren, mich auf den Weg zu neuen Aufgaben zu machen. Ich hätte auch als 45 Jährige Mutter darauf gehört.

Ich kenne Männer, die haben ihren Job mit Mitte 50 quittiert und sich einen neuen Arbeitgeber gesucht. Mutig? Warscheinlich schon, ja. Ich kenne Frauen, die sich direkt nach der Ausbildung – mit kaum 20 – ihren Traum vom eigenen Unternehmen verwirklichten. Mutig? Ziemlich! Ich kenne schwule, lesbische, trans und bisexuelle Menschen, die in Ländern für ihre Rechte kämpfen, in denen ihre Art zu Lieben und Leben unter Strafe steht. Mutig? Ganz sicher! Eine Frage des Alters? Nein, das denke ich nicht. Ich denke, sie alle folgen ihrer inneren Überzeugung. Ihrem Herzen und ihren Träumen.

Ich wünsche allen Menschen den Mut und die Möglichkeit, ihren Träumen und ihrer inneren Überzeugung zu folgen. Egal wie alt sie sind. Egal ob weiblich, männlich oder x. Egal ob ungebunden oder mit Verantwortung für Dritte.

1 Comment

  1. Margaritha Dähler-Stettler sagt:

    Danke, Barbara, für diese Zeilen! Es freut mich, dass eine junge Frau ihre Gedanken so gut niederschreiben kann. Für den kommenden Wahlkampf als Nationalratskandidatin wünsche ich Dir alles Gute.
    Margaritha

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